Ver- und geehrte Meidlingerinnen – Frauentag 2023
Die meisten Straßen in Wien und auch in Meidling sind nach Männern benannt. Anlässlich des Frauentags 2023 wollen wir euch einige verdiente Meidlingerinnen vorstellen. Manche von ihnen haben bereits eine Würdigung bekommen aber wer weiß schon, dass die Längenfeldgasse ihren Namen einer Frau verdankt?
Verdiente Frauen sichtbar machen
Wir fordern, dass künftig vorrangig Frauen bedacht werden, wenn wieder eine Straße, eine Schule oder ein Gemeindebau neu benannt werden soll. Denn es ist klar: Unsere Frauenportraits sind nur ein kleiner Auszug aus der langen Liste von tollen Frauen, die in Meidling geboren wurden, hier gelebt oder gearbeitet haben. Früher – und manchmal auch heute noch – werden Frauen auch ohne Bezug zum Bezirk hier gewürdigt. Was uns immer wieder auffällt: Egal was ihr Beruf war, viele von ihnen stellten sich gegen das Nazi-Regime, leisteten Widerstand oder kämpften als engagierte Zeitzeuginnen dafür, dass sich die damaligen Gräuel nicht wiederholen mögen.
Mona Lisa Steiner (1915 – 2000)
Mona Lisa Steiner wuchs in Meidling auf und studierte Botanik und Zoologie an der Universität Wien, bevor sie wegen ihrer jüdischen Abstammung 1938 auf die Philippinen emigrieren musste. Innerhalb weniger Jahre gelang es ihr, sich dort eine neue Existenz aufzubauen. Sie etablierte sich als Expertin für die Pflanzenwelt ihrer Exilheimat. Sie ist Verfasserin eines Standardwerks über Orchideen und baute einen internationalen Pflanzenversand auf. Mitte der 1960er Jahre kehrte sie nach Wien zurück. Die Methode der „Wiener Schule“ beim Blumenstecken geht auf sie zurück. Gegen Ende ihres Lebens regte Steiner den Aufbau einer mehrsprachigen internationalen Internetdatenbank für Nutz- und Kulturpflanzen an der Universität für Bodenkultur an. Mona Lisa Steiners Lebensweg wurde intensiv von der Uni Wien erforscht. Nach Steiner wurde ein Weg beim Wildgarten in Hetzendorf benannt, da man dort Wissenschaftlerinnen ehren wollte.
Eine sehr interessante Zusammenfassung ihres umfangreichen Wirkens ist auf der Seite der Österreichischen Akademie der Wissenschaften zu finden: https://www.oeaw.ac.at/gedenkbuch/personen/q-z/mona-lisa-steiner
Hanna Berger (1910 – 1962)
Die Tänzerin, Choreografin, Regisseurin und Pädagogin Hanna Berger war eine Pionierin des modernen freien Tanzes. Die unehelich geborene Tochter einer Arbeiterin aus Meidling war in beengten Verhältnissen aufgewachsen. Nur durch Umwege gelang es ihr eine Tanzausbildung in Berlin und Dresden zu absolvieren.
Die unangepasste Künstlerin eckte, wie so viele andere Künstler:innen auch, beim nationalsozialistischen Regime an und wurde 1942 wegen „Ermöglichung staatsfeindlicher kommunistischer Zusammenkünfte in ihrer Wohnung“ angeklagt. Nur durch großes Glück entging sie einer Verhaftung.
Ihre zentrale Bedeutung für den Modernen Tanz wurde erst in den letzten Jahren durch die engagierte Arbeit der Tanzhistorikerin Andrea Amort aufgearbeitet. Gerade für den Modernen Tanz in Deutschland und Österreich bedeutete der Zweite Weltkrieg eine erhebliche Zäsur. Trotz der schwierigen Bedingungen nach dem Krieg blieb Berger bis zu ihrem frühen Tod 1962, im Alter von 52 Jahren, umtriebig.
Seit 2006 hat Hanna Berger ein Ehrengrab auf dem Meidlinger Friedhof. Eine Benennung einer Verkehrsfläche oder eines Bauwerks steht noch aus – wir haben sie bereits in der Kulturkommission vorgeschlagen.
Zum Nachlesen:
https://oe1.orf.at/artikel/655853/Hanna-Berger-Die-Taenzerin-als-Kommunistin
https://de.wikipedia.org/wiki/Hanna_Berger
https://www.wikiwand.com/de/Hanna_Berger
Gertrude Pressburger (1927 – 2021)
Gertrude Pressburger war Holocaustüberlebende und Zeitzeugin. Einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurde sie, als sie wenige Tage vor der österreichischen Bundespräsidenschaftswahl 2016 in einer Videobotschaft vor Ausgrenzung und Hass warnte. Ihr Auftritt war eine Reaktion auf Aussagen des damaligen FPÖ-Chefs Heinz Christian Strache und wird als möglicherweise wahlentscheidend zugunsten Alexander Van der Bellen eingestuft.
Ihre danach veröffentlichten Lebenserinnerungen, gemeinsam mit der Journalistin Marlene Groihoifer verfasst, geben einen authentischen und sehr berührenden Eindruck davon, wie sie als junges Mädchen die zunehmende Ausgrenzung in Wien und die zunächst erfolgreiche Flucht gemeinsam mit ihrer Familie erlebt hat. Pressburger überlebte als einziges Mitglied der Familie das KZ Auschwitz, in das die Familie 1944 gebracht wurde. Die Mutter und beide Brüder wurden im KZ ermordet. Der Vater starb bei der Überstellung in ein anderes Lager.
Die Familie lebte bis 1937 in Meidling in der Belghofergasse. Obgleich Gertrude Pressburger nach Wien zurückkehrte und dort bis zu ihrem Tod lebte, hat sie den alten Wohnort der Familie nie wieder betreten.
Wir haben „Frau Gertrude“ für eine Benennung vorgeschlagen, momentan ist in der Kulturkommission die Benennung eines Fußgänger:innenstegs im Gespräch.
Eine ausführlichere Darstellung und Würdigung ihrer Person: https://orf.at/v2/stories/2424023/2424024/
Zum Nachlesen: https://de.wikipedia.org/wiki/Gertrude_Pressburger
Leopoldine Glöckel (1871-1937)
Leopoldine Glöckel, geboren in Gaudenzdorf, war Lehrerin und engagierte sich früh in verschiedenen Frauenorganisationen. Sie war eine begabte Rednerin zu Bildungsthemen und gründete eine Fortbildungsschule für Hausgehilfinnen. Sie war erst Mitglied des Bezirksvorstands Meidling und von 1919 bis 1934 eine der ersten Frauen im Wiener Gemeinderat. 1934 wurde sie nach dem Verbot der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei für einige Wochen inhaftiert, arbeitete danach aber im Untergrund weiter, bis sie 1937 starb. In Meidling wurde ein Gemeindebau und ein Weg bei der Altmannsdorfer Straße nach ihr benannt.
Mehr Lesen: https://de.wikipedia.org/wiki/Leopoldine_Gl%C3%B6ckel
Miep Gies (1909-2010)
In Wien geboren als Hermine Santrouschitz, wuchs Miep Gies bei einer niederländischen Pflegefamilie auf. Später arbeitete sie bei Otto Frank und freundete sich mit der Familie an. Als die Gefahr durch die Nazis in den Niederlanden größer wurde, verstecke sie die Familien Frank und Pels sowie Fritz Pfeffer im Hinterhaus. Nach zwei Jahren wurde das Versteck entdeckt und alle Jüd:innen verhaftet. Miep Gies selbst konnte einer Verhaftung entgehen und übergab 1945 dem einzigen Überlebenden, Otto Frank, Annes heute weltberühmtes Tagebuch. Miep Gies wurde 100 Jahre alt und erhielt viele Ehrungen, darunter auch den Goldenen Rathausmann von Wien. Auf unsere Initiative hin heißt der Park bei der U-Bahn-Station Tscherttegasse, unweit ihres ersten Wohnhauses, seit 2011 „Miep-Gies-Park“.
Wien-Wiki: https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Miep_Gies
Website von Miep Gies: https://www.miepgies.nl/de/
Josephine Haas (1783-1846)
Josephine Haas ist sicher einer der bemerkenswertesten Benennungen in Meidling. Nach ihr wurde eine wichtige Straße in unserem Bezirk benannt. Bei Haasgasse klingt nichts? Tatsächlich handelt es sich um die Längenfeldgasse! Josephines Geschichte wird manchmal wie ein Märchen erzählt, aus moderner feministischer Sicht gibt es durchaus problematische Seiten.
Es war einmal eine arme Doppelwaise namens Josephine, die Berichten zufolge am Weg in eine andere Stadt, um Arbeit zu suchen, vom Grafen Lerchenfeld aufgelesen wurde. Sie wurde zu seiner Haushälterin und bekam ein Kind von ihm – inwieweit dies eine Liebesbeziehung war, können wir natürlich nur spekulieren. Eine Heirat war aufgrund des Standesunterschieds jedenfalls nicht möglich. Ihre Tochter starb nach einer wegen ihrer unehelichen Herkunft geplatzten Hochzeit mit nur 17 Jahren „an gebrochenem Herzen“. Josefine spekulierte angeblich mit dem Geld des Grafen und erwarb dadurch auch ohne die Heirat ein beträchtliches Vermögen. Graf Lerchenfeld starb jedenfalls 1844, ob sie auch von ihm geerbt hat, ist unklar. Josefine nutze ihren Reichtum, um jungen Mädchen aus armen Familien Brautgeschenke zu stiften, aber auch wenn diese nicht heirateten bekamen sie Unterstützung. Dafür verlieh ihr der bayrische König den Titel „Edle von Lengfeld Pfalzheim“. Und der Bezug zu Meidling? Sie wohnte in Gaudenzdorf (damals noch nicht eingemeindet), wo sie eine „Kinderbewahranstalt“ stiftete, was heute ein Kindergarten wäre. 1846 starb sie; seit 1900 befindet sich ihr Grab am Meidlinger Friedhof. 1894 wurde die Längenfeldgasse nach ihr benannt. Beim Kindergarten Haebergasse gibt es außerdem eine Gedenktafel. Diese Aussteuerstiftung klingt zwar wie ein Relikt von damals, es gibt sie aber heute noch – der Betrag liegt inzwischen bei €800,-.
Zum Nachlesen: https://web.archive.org/web/20080627145210/http://www.burglengenfeld.de/josefine_haas1.html
https://de.wikipedia.org/wiki/Josephine_Haas
Stefanie Nauheimer (1868-1946)
Stefanie Nauheimer war Lehrerin und setzte sich für die dienstrechtliche Gleichstellung von weiblichen Lehrkräften ein – unter ihren Mitstreiterinnen waren Leopoldine Glöckel und Auguste Fickert. Sie gründete einen Verein von Lehrerinnen und Erzieherinnen und wurde erst in den Bezirksschulrat, dann in Bezirksrat von Meidling gewählt. Wir verdanken ihr zahlreiche bezirkspolitische Initiativen zur Gleichberechtigung von Frauen und im Fürsorgewesen. Nach ihrer Pensionierung 1920 setzte sie sich noch stärker in der Frauenbewegung ein. Nach ihr ist seit 1952 die Nauheimergasse benannt.
Leider sehr knapper Artikel: https://de.wikipedia.org/wiki/Stefanie_Nauheimer
Susi Weigel (1914-1990)
Susi Weigel stammte aus einer wohlhabenden Familie, die 1915 vom heute tschechischen Prostějov nach Wien übersiedelte. Susi studierte an der Angewandten und arbeitete als Illustratorin, Trickfilmzeichnerin und mit ihrem Mann auch als Innenarchitektin. Die Kriegsjahre verbrachte sie in Berlin; mehrere Quellen bestätigten, dass sie sich regimekritisch geäußert hatte und ihre Arbeit weitgehend unpolitisch war – sie durfte sich also nach dem Krieg künstlerisch frei betätigen. Das geschah allerdings nach ihrer Scheidung wieder in Wien: Sie arbeitete für das KPÖ-nahe Kindermagazin „Unsere Zeitung“, wo sie die Kinderbuchautorin Mira Lobe kennenlernte. In dieser Zusammenarbeit entstanden internationale Bestseller wie „Das kleine Ich-bin-Ich“, „Die Omama im Apfelbaum“ oder „Das Städtchen Drumherum“. Einige der Bücher basieren auch auf Weigels Ideen, ihr Beitrag geht also über die Illustrationen hinaus. Eine Zeit lang hatte sie ein Atelier in Meidling.
1986 wurde ihr der Professorentitel verliehen. Nach ihrem Tod 1990 geriet sie aber in Vergessenheit, vielleicht auch weil sie viel zurückgezogener lebte als Mira Lobe. Das änderte sich erst 2010 mit einer Ausstellung im Frauenmuseum Hittisau in Vorarlberg. Danach wurde von verschiedenen Institutionen die Bedeutung ihres Werks aufgearbeitet, was u.a. zur Benennung des Susi-Weigel-Wegs 2019 in Meidling führte.
Mehr über Susi Weigel: https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Susi_Weigel